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Städtepartnerschaft auf dem Prüfstand

TRANSATLANTISCHE BEZIEHUNG Büdingens Verschwisterungsverein setzt auch in unruhigen Zeiten auf besondere Freundschaft mit Tinley Park

Die South Oak Park Avenue gehört in Tinley Park zu den Hauptstraßen. Den JW Hollstein’s Saloon dürften auch einige Büdinger kennen. Das Restaurant liegt in unmittelbarer Nachbarschaft des Bahnhofs. Von dort fahren die Metra-Züge unter anderem bis zur LaSalle Street in Downtown Chicago. Fotos: Leo

BÜDINGEN - Chicago ist mit mehr als 2,7 Millionen Einwohnern die drittgrößte Metropole in den USA. Sie hat 28 Schwesterstädte. Eine davon ist Hamburg. Dort leben 1,7 Millionen Menschen. Die Hansestadt ist hinter Berlin die bevölkerungsreichste Stadt in der Bundesrepublik. Mit diesen Zahlen im Hinterkopf wirkt die Angabe auf der Homepage des Tinley Park Chamber of Commerce, der Handelskammer der etwa 57 000 Einwohner zählenden Stadt im Cook County, noch beeindruckender. Tinley Park gehört zu den Orten in den Vereinigten Staaten, die im Zuge von internationalen Verschwisterungen die meisten Besucher zu verzeichnen haben. Zu verdanken ist das der im September 1989 vollzogenen Städtepartnerschaft mit Büdingen. Jetzt, nach 27 Jahren, steht diese außergewöhnliche deutsch-amerikanische Freundschaft aber auf dem Prüfstand. „Die Basis ist weggebrochen, es fehlen die jungen Leute“, sagt Siegfried Wanowski. Im Gespräch mit dem Kreis-Anzeiger beschreibt der Vorsitzende des Büdinger Verschwisterungsvereins keine aussichtslose, aber durchaus eine angespannte Lage.

Vor zwei Jahren feierten die beiden Städte einen Festakt in Tinley Park. Eine 15-köpfige Delegation war nach Illinois gereist, zeitgleich besuchten 15 Schüler des Wolfgang-Ernst-Gymnasiums die Victor Andrew High School. Während der Austausch der beiden Schulen prächtig gedeiht und sogar ausgebaut werden soll, ist es ansonsten ziemlich ruhig geworden. Und das hat Gründe: Im Dezember 2014 stand die Sister Cities Commission, das Pendant zum Büdinger Verschwisterungsverein, fast vor dem Aus. „Nahezu eineinhalb Jahre hat sich dort so gut wie nichts getan“, so Wanowski. Vertraute Gesichter, zu denen viele Büdinger enge Freundschaften unterhalten, traten ab. Jüngere Leute, die mit neuen Impulsen die Beziehungen hätten beleben können, gab es nicht. Und das neue Gremium musste sich erst finden. Es kam zwangsläufig zu einem Bruch.

Die weitaus größeren Faktoren, warum die Besuche zuletzt stark nachgelassen haben, sind jedoch die Sicherheit und das Geld. Aufgrund der Terroranschläge in Europa buchen Amerikaner weniger Transatlantikflüge. Zudem sind die Reisen teuer. Zwar gehört Tinley Park zu den rasant wachsenden Kommunen im Süden der Metropolregion Chicago – das Durchschnittseinkommen der Bevölkerung ist allerdings gesunken. Siegfried Wanowski bringt es folgerichtig auf den Punkt: „Die meisten Menschen können sich das einfach nicht mehr leisten. Und hierzulande geht es vielen Leuten ja ähnlich.“

Klein beigeben möchte aber niemand. „Wir sind fest zu einem Neustart entschlossen, sagt der Vorsitzende, dem Geschichten Mut machen, wie sie Markus Gerlach erzählt. Der Michelauer Ortsvorsteher und Büdinger Stadtverordnete der CDU besuchte mit seinem Sohn Patrick im Sommer die Partnerstadt mit deutschen Wurzeln. Für das Vorstandsmitglied des Verschwisterungsvereins war es ein privater Urlaub mit offizieller Mission. Während eines Empfangs mit Vertretern aus Politik und Wirtschaft machte er seinerseits Werbung für das Wiederaufleben der Partnerschaft und bekam andererseits eine besondere Wertschätzung zu spüren. Randy Tietz und Pat Rea, Männer der ersten Stunde der Verschwisterung auf amerikanischer Seite, würdigten die Beziehung zu Büdingen. Dabei war auch der neue Bürgermeister David Seaman, der bislang in Sachen Verschwisterung noch nicht wirklich in Erscheinung getreten war.

Markus Gerlach lud Seaman zum diesjährigen Weihnachtsmarkt nach Büdingen ein und: Er überreichte dem Stadtoberhaupt einen mit Abzeichen besetzten Schützenrock der Büdinger Schützengesellschaft von 1353. Es handelte sich dabei um ein Geschenk Reinhold Dießls, das einen Ehrenplatz im Heimatmuseum Tinley Parks bekommen soll. Pat Rea erklärte die Geschichte und Tradition der Schützen in Deutschland und würdigte die Gabe als Symbol der Freundschaft. The Tinley Junction, die Lokalzeitung der Stadt, titelte tags darauf „German flavor comes to Tinley Park’s board room“ – der Gast aus Deutschland hat im Sitzungssaal der Partnerstadt einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Jon Depaolis, Autor des Artikels, zitierte Randy Tietz mit dem Worten „Markus Gerlach is a personal friend and a friend of Tinley Park“ – die Aussage bedarf keiner weiteren Erklärung.

Dem Bürgermeister, der im Mai 2015 Edward Zabrocki nach 34 Jahren im Amt ablöste, dürfte die Bedeutung der Partnerschaft nicht entgangen sind. Er sicherte Gerlach Unterstützung zu, stellte seinen Besuch des Weihnachtsmarktes in Aussicht. „Die Herzlichkeit, die uns entgegengebracht worden ist, kann man mit Worten nicht beschreiben“, sagt Gerlach. Wenn alles klappt, kommen im Dezember drei Gäste aus Tinley Park nach Büdingen. Nichts Offizielles, aber immerhin. „Es gibt ja nach wie vor private Freundschaften, die auch ohne die Stadt und den Verein funktionieren. Das ist auch unser Ziel. Diese Beziehung soll keinesfalls eine Partnerschaft der Funktionäre werden“, sagt Wanowski.

Dagegen läuft es beim Schüleraustausch klasse. Die Bilanz: Es gibt mehr Anfragen als Plätze. Die Nachfrage ist enorm. 2012, im ersten Jahr, besuchten 16 Schüler des Büdinger Gymnasiums die Andrew High School. Bis heute sind es über 50. Zuletzt kehrten 16 Jugendliche Mitte September aus Tinley Park zurück.

 

INFOS

Tinley Park hat deutsche Wurzeln. Die ersten Einwanderer ließen sich in den 1820er Jahren dort nieder, später besiedelten Deutsche die Gegend. 1853 nannten sie das Dorf Bremen. Die Eisenbahn sorgte für wirtschaftlichen Aufschwung. Das Dorf entwickelte sich zur Kleinstadt. Zu Ehren des ersten Bahnhofsvorstehers, Samuel Tinley, Sr., heißt der Ort seit 1890 Tinley Park. Eine offizielle Feierstunde fand am 27. Juni 1892 am Bahnhof statt. In der Nähe der Station sitzt seit einigen Jahren ein Büdinger Sandstein-Frosch. 16638 Cherry Hill Avenue – dort befindet sich der „Buedingen Park“. Er passt gut zum Familienstadt-Konzept der 7012 Kilometer entfernten Partnerstadt in Deutschland. Großzügig gestaltete Kinderspiel- und Picknickplätze, ein Basketballcourt und ein Baseballfeld sowie überdachte Freisitze und Möglichkeiten zum Grillen gibt es dort. Das Magazin Business Week kürte die Stadt im Nordosten des Bundesstaates Illinois übrigens im Jahr 2009 zum besten Ort in den Staaten, um Kinder großzuziehen. 17016 Oak Park Avenue – noch eine Adresse in Tinley Park. Dort ist „Zettelmeier’s Bakerei“ zu finden. Paul Zettelmeier führt den Laden mit seiner Frau Dee – eine Bäckerei, die sein Vater Hans 1962 in der Innenstadt von Chicago eröffnet hatte. Er war damals aus Deutschland ausgewandert, um in den USA sein Geschäft mit Backwaren zu etablieren. Mit Erfolg. Die Familie setzt auf die traditionellen Rezepte und bietet amerikanische Klassiker. Der Schokoladendonut gilt als der beste im „Chicagoland“. (leo)

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